Wenn das Baby erwachsen wird

Januar 22 ist es soweit. Ich bin wieder verfügbar. Nach 7 Jahren Nonstop-Einsatz im gleichen Projekt habe ich so manch internen Mitarbeiter überlebt. Nicht nur Mitarbeiter, gar die ein oder andere Tochtergesellschaft und Ausgründungen, die jetzt unter neuer Farbe erstrahlt. Schlimmer wird es noch, wenn man die vorangegangenen 7 Jahre bei RWE ebenfalls hinzurechnet. Drei Vorstandsvorsitzende kommen und gehen sehen.

Portfolio IllustratorUnser Baby ist erwachsen geworden und braucht mich nicht mehr. Trotzdem fällt das Loslassen schwer. Es ist ein wenig so, als ob ich, und so lange wird das auch nicht mehr dauern, meinen Töchtern die letzte Umzugskiste in den Kofferraum trage und die Klappe schließe. Es stecken so viele Erinnerungen in diesem Projekt. Den Feueralarm, den gleich am ersten Tag ausgelöst habe. Die leidenschaftlichen Diskussionen. Manch einer würde das Adjektiv hitzig verwenden. Den Versöhnungskuchen. Die Stelle vor dem Haupteingang, wo meine Jüngste plötzlich rückwärts essen musste. Die 320 Stunden auf dem Leistungsnachweis im Monat des Golives. Das Zwitschern der Vögel morgens um 5 auf dem Weg nach Hause, um noch die eine oder andere Stunde zu schlafen. Ich gehörte irgendwie zur Familie. Und dafür bin ich sehr dankbar. 

Was zur Hölle haben wir getan?

Seit Anfang 2015 bin ich Technical Lead und Entwickler des CRS-Systems der RWE AG. Es handelt sich hierbei um eine Reporting-Plattform, die zu der Einhaltung und Erfüllung von sich rasch ändernden regulatorischen Anforderungen innerhalb der Energiebranche  mehr als zweckdienlich ist. Sie entlastet die Marktteilnehmer innerhalb der EU bei der Beantwortung komplexer und kostspieliger Fragen rund um das Thema Regulatory Compliance und sorgt mittels eines automatisierten Datenabgleichs zwischen Markteilnehmer  und Regulierungsbehörden für einen reibungslosen Geschäftsbetrieb und minimiert das operationelle Risiko durch Einhaltung aller Meldeverpflichtungen.

Die Beauftragung erfolgte nach einem Vorstandsbeschluss der RWE-Gruppe, die die Teilnahme sämtlicher Mehrheitsgesellschaften an diesem Programm verpflichtend machte. Geplant und realisiert wurde das System mit OpenSource-Komponenten, weil das Budget recht knapp dimensioniert war. Kerntreiber war die Mandantenfähigkeit, Skalierbarkeit und Ausfallsicherheit, da die Nichteinhaltung von Compliance-Regeln zu empfindlichen Strafzahlungen und zu einem erheblichen Reputationsverlust der RWE-Gruppe hätten führen können. Eine Teilmenge aller Handelsgeschäfte, vornehmlich finanzielle Geschäfte wie etwa Derivate, Swaps und Optionen, muss zwingend innerhalb eines Geschäftstages beim Regulator vorliegen. Ebenso sind Adhoc-Prüfungen von den Aufsichtsbehörden möglich, so dass sämtliche Transaktionen aller Teilnehmer im CRS-System verwaltet werden, um bei Bedarf schnellstmöglich der Auskunftspflicht nachkommen zu können.

In der Regel sind die teilnehmenden Gesellschaften direkt mit ihren Handelssystemen über SOAP angebunden. Unterstützt wird eine breite Palette an Eingangsformaten, die für jeden Mandanten individuell in das interne Format transformiert werden können. Statusmeldungen an das jeweilige Handelssystem können in Echtzeit über verschiedene Kanäle zurückgemeldet werden.

Nach 18 Monaten ging das Projekt in time / in budget live. Zunächst war die Anbindung von 23 Gesellschaften avisiert. Da sich das Produkt jedoch positiv von der Konkurrenz (u. a. Seeburger) abhob, verwalten wir bis dato über 800 teilnehmende Gesellschaften aus dem europäischen Raum.

Im Laufe der Jahre wurden neue regulatorische Regime implementiert. Eine Modernisierung der Landschaft wurde Mitte 2020 mit dem Auszug aus dem RWE-Rechenzentrum in die OTC gestartet, weg von dedizierten virtuellen Maschinen, hin zu einem flexibleren Betrieb mit Kubernetes in der Cloud. Alles in allem war das Projekt ein voller Erfolg und hat uns allen großen Spaß gemacht. Mit einem neuen internen Mitarbeiter, den wir seit einem Jahr einarbeiten und der das Projekt übernimmt, kann ich nun ruhigen Gewissens die Klappe schließen. 

Danksagung

Mein besonderer Dank geht an Dr. Ulrich Grepel, der mich trotz des Feueralarms beauftragt hat. An Jörg Sperling, der uns für dieses wichtige Projekt das Vertrauen geschenkt hat. Und natürlich an alle internen Kollegen, die bezüglich der Firmenzugehörigkeit keine Unterscheidung gemacht haben. 

Jetzt suche ich wieder eine neue Herausforderung. Die darf jetzt durchaus auch in einer anderen Branche zu finden sein.

 

CV Boris Sander